BGH: Keine starren Fristen für Überbrückungskredite in der Krise

Kreditnehmer sind in der Ertrags- und Liquiditätskrise oftmals auf kurzfristige zusätzliche Kredite angewiesen, um die Aussichten auf einen außerinsolvenzlichen Sanierungsversuch zu prüfen und ein umfassendes Sanierungskonzept zu erarbeiten, das es den Banken ermöglicht, ohne das Risiko einer Haftung wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung anderer Gläubiger (§ 826 BGB) einen Sanierungskredit zu gewähren. Die Anforderungen der Rechtsprechung an das Sanierungskonzept sind hoch: die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Kreditnehmers im Marktumfeld einschließlich der Krisenursachen sind zu analysieren. Hiervon ausgehend muss das Unternehmen nach unvoreingenommener, objektiver Beurteilung sanierungsfähig sein. Es müssen konkrete Sanierungsmaßnahmen erarbeitet werden, die objektiv geeignet sind, das Unternehmen in überschaubarer Zeit durchgreifend zu sanieren. All dies muss für Dritte nachvollziehbar dokumentiert werden.

Die Erarbeitung solcher Sanierungskonzepte braucht eine gewisse Zeit. Überbrückungskredite der finanzierenden Banken sollen während dieser Zeit den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vermeiden und damit das vorläufige „Eigenkapitalersatzregeln“ des Kreditnehmers sicherstellen.

Das Kammergericht Berlin hat mit einem Urteil vom 04.11.2015 (Az. 24 U 112/14) für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Das Kammergericht zitiert ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahr 2010 (Urteil vom 26.04.2010, Az. II ZR 60/09) dahingehend, die zeitliche Grenze für Überbrückungskredite betrage längstens drei Wochen. Das BGH-Urteil aus 2010 betraf jedoch einen völlig anders gelagerten Sachverhalt. Dort ging es um ein Gesellschafterdarlehen, das unter Geltung der bis 2008 bestehenden sogenannten „Eigenkapitalersatzregeln“ (§§ 32a, 32b GmbHG a.F.) gewährt wurde. Das Gesellschafterdarlehen wurde in einer Überschuldungssituation, also einer sog. „Krise der Gesellschaft“ gemäß § 32a Abs. 1 GmbHG a.F., gewährt und war nach dem Urteil des BGH deshalb in der Insolvenz nachrangig zu bedienen (seit 2008 ist die Rechtslage insoweit grundlegend anders: Gesellschafterdarlehen sind seither gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F. unabhängig davon in der Insolvenz nachrangig, ob sie während einer „Krise der Gesellschaft“ gewährt wurden). Der BGH verwies in seinem Urteil aus 2010 auf eine nach alter Rechtslage (bis 2008) geltende Ausnahme von der Rechtsfolge der Nachrangigkeit gemäß den „Eigenkapitalersatzregeln“, nämlich bei kurzfristigen „Eigenkapitalersatzregeln“, mit deren fristgerechter Rückzahlung objektiv gerechnet werden konnte, die allerdings keine längere Laufzeit als drei Wochen aufweisen durften. Diese Passage des BGH-Urteils aus 2010 wird vom Kammergericht als Beleg dafür zitiert, dass Überbrückungskredite der Banken für Zwecke der Sanierungsprüfung für nicht länger als drei Wochen vergeben werden dürften.

Mit Überbrückungskrediten seitens finanzierender Banken zur Ermöglichung einer Sanierungsprüfung hat das BGH-Urteil aus 2010 jedoch nichts zu tun. Das Kammergericht zitiert somit ein nicht einschlägiges BGH-Urteil. Wenig überraschend wurden daher die Ausführungen des Kammergerichts in der juristischen Literatur einhellig abgelehnt.

Der BGH hatte nun in der Revisionsinstanz die Gelegenheit, sich zu dem Urteil des Kammergerichts zu äußern (Beschluss vom 07.03.2017, Az. XI ZR 571/15). Dabei stellte der BGH fest, dass das Kammergericht im Ergebnis richtig entschieden hatte: in dem Sachverhalt vor dem Kammergericht ging es um verschiedene Darlehen, die erkennbar nicht der Überbrückung eines kurzfristigen Liquiditätsengpasses bis zur Klärung der Sanierungsfähigkeit dienten, sondern von vornherein mittelfristig das Überleben (von verbundenen Unternehmen) des Kreditnehmers sichern sollten. Es handelte sich also nicht um Überbrückungskredite für die Prüfungsphase sondern um Sanierungskredite, die – wie schon das Kammergericht feststellte – ohne jede belastbare Sanierungsprüfung unter Inkaufnahme erheblicher Risiken der Insolvenzverschleppung für dritte Gläubiger vergeben worden waren. Der BGH bestätigte daher das Sittenwidrigkeitsverdikt des Kammergerichts.

Allerdings sei es falsch, die Unzulässigkeit des „Überbrückungskredites“ mit der Überschreitung einer Dreiwochenfrist (der strafbewehrten Insolvenzantragsfrist ab Vorliegen eines Insolvenzgrundes gemäß § 15a Insolvenzordnung (InsO) entlehnt) oder einer Dreimonatsfrist (der maximalen Dauer des „Schutzschirmes“ zur Vorlage eines Insolvenzplanes gemäß § 270b InsO entlehnt) zu begründen.

Der BGH wörtlich: „Die Grenze zwischen dem, was einer Bank bei Gewährung und Sicherung ihrer Kredite noch erlaubt ist, und dem, was für den redlichen Verkehr unerträglich und deshalb sittlich unstatthaft ist, kann deshalb nicht mit Hilfe starrer Fristen gezogen werden.“

Es muss also im Einzelfall anhand der Transparenz der wirtschaftlichen Situation und der Komplexität des Unternehmens entschieden werden, wie lange der Überbrückungskredit längstens gewährt werden darf. Dabei kommen auch Laufzeiten von mehr als drei Monaten in Betracht.

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